Digitales Ansagegerät für analoge Telefonvermittlungsstellen DAGRU91

 

Neulich ist mir auf der Suche nach Bauteilen eine alte Platine aus der "Fernmeldeamt Ära" in die Hände gefallen.

Es handelt sich hierbei um ein Stück Technik, welches inzwischen extrem selten sein dürfte.

Bevor in Deutschland flächendeckend die Vermittlungsstellen digitalisiert wurden, wurden Telefongespräche analog mit Relaistechnik vermittelt.
In Westdeutschland war der größte Teil der Ortsvermittlungsstellen mit dem Wählsystem 55v ausgerüstet.
Diese Technik war in einigen Ortsnetzen noch bis weit in die 90er Jahre in Betrieb.

Neben den typischen Hörtönen (Wählton / Freizeichen, etc.) gab es auch Sprachansagen.
Die damals übliche Technik arbeitete mit magnetischen Speichern wie Magnetplatten oder Magnetbändern.

Hier einige Beispiele:

Hinweisdienste auf der Website des historischen Wählamtes Worphausen

Thema Ansagedienste auf www.telekom-historik.de

Ein YouTube Video über das Ansagegerät HAG-1

Der gravierende Nachteil dieser Technik war, dass bei der Änderung einer Ansage eine neue Aufnahme erstellt werden musste.
Diese musste anschließend in einem Tonstudio auf das entsprechende Medium überspielt werden und in die entsprechende Vermittlungsstelle transportiert werden.

So hat man zum Ende der analogen Ära noch digitale Erweiterungen in die Vermittlungsstellen eingebracht, um diesen Aufwand zu reduzieren.
Ich nehme an, dass diese Einrichtungen nur für wenige Jahre in Betrieb waren, da sie mit der Einführung der digitalen Vermittlungstechnik obsolet wurden.
Aufdrucke auf einigen Bauteilen der Platine lassen auf das Jahr 1995 schließen, also sehr spät in der "analogen Ära".

Was haben wir hier:
Die Baugruppe steckte ursprünglich mit weiteren Baugruppen in einem Baugruppenträger in einer Vermittlungsstelle.
Bei einem eingehenden Anruf werden vorher konfigurierte Ansagen abgespielt.
Irgendwelche Unterlagen darüber habe ich nicht mehr und sind auch nicht online zu finden.
Daher sind alle folgenden Angaben ein Ergebnis von "Reverse Engineering".

Die Steckkarte erlaubt den Anschluss von vier analogen Telefonleitungen.
Auf der Karte befinden sich zwei digitale Abspielgeräte für Sprachsamples, die über einen Datenbus gesteuert werden können.
In den zugehörigen EPROMs sind Satzfragmente sowie Ziffern in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch enthalten.
Gesteuert wurde die Baugruppe durch einen Intel 80C51 Prozessor mit entsprechender Peripherie.
Am Datenbus hängt noch eine Echtzeituhr mit Kalenderfunktion.
Offenbar war irgendeine Art der Zeitsteuerung zumindest vorgesehen.
Es kann auch sein, dass es andere EPROMs z.B. für eine Zeitansage gab.
Die Inhalte der beiden EPROMs dieser Karte sind identisch.
Neben den EPROMs befindet sich je ein freier Steckplatz für ein weiteres EPROM.

Wie funktionierte die Ansage?
Bei einem erkannten Anruf belegt Steuerung die Leitung, verbindet den Audiokanal mit einem freien Abspieler und startet die Wiedergabe.

In den EPROMs der beiden Abspieler sind die folgenden Ansagen gespeichert:

Aufmerksamkeitston "da .. di .. da" ... die Telefonnummer hat sich geändert ... Bitte wählen Sie die Vorwahlnummer ... und dann
... dieser Anschluss ist aufgehoben ... unter einer neuen Telefonnummer ist der Teilnehmer noch nicht erreichbar ...
Die Ziffern von 0 - 9 in drei unterschiedlichen "Ausdrucksweisen".
Das alles dreimal in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch.

Die Umschaltung zwischen den Sprachen DE/EN/FR erfolgt durch Selektieren der Adressleitungen A17 & A18 des EPROMs.
Die jeweilige Ansage oder genauer gesagt das Satz Fragment kann über den 8 Bit Steuereingang des Audiodecoders angewählt werden.
Somit können die Fragmente zu verschiedenen Ansagen kombiniert werden.
Die EPROMs haben eine Kapazität von jeweils 512Kb (27C4001).

Kommen wir zu der interessantesten Komponente des Gerätes:

Die Audiowiedergabe erfolgt mit einer erstaunlich guten Qualität!
Dafür verantwortlich ist ein spezieller Audio Decoder der Firma NEC, nämlich ein D7759GC, auch bekannt als µPD7759.
Das Datenblatt bezeichnet den Chip als "ADPCM SPEECH SYNTHESIZER".

Dieser Chip hatte auch mein Interesse an der Platine geweckt.
Er kann in einem ROM oder EPROM gespeicherte Audiodaten ohne weitere Prozessorunterstützung wiedergeben.
Als externe Komponenten benötigt er lediglich ein Latch um die Adresse zwischenzuspeichern, ein ROM bzw. EPROM und einen Schwingquarz.
Man selektiert über 8 Datenleitungen das gewünschte Audiosample und zieht den Start Eingang auf low.
Jetzt spielt der Chip eigenständig das Sample ab.
Während der Wiedergabe signalisiert der Chip durch einen "busy" Ausgang, dass er beschäftigt ist.

Dieser Chip wurde auch in Computerspielen dieser Zeit verwendet.
Es wird eine Datenkompression nach dem ADPCM Verfahren verwendet.
Somit ließ sich der EPROM Inhalt auch mit der Software Audacity hörbar machen.
Leider aber nur hörbar machen! Die Audioqualität war extrem schlecht.
Offenbar verwendet NEC spezielle Optimierungen um die Audioqualität zu erreichen.
Nach längerer Suche bin ich auf das "NV-300 System µPD775X Family Speech Analysis Tool" gestoßen.
Das ist offenbar eine kombinierte Hardware und Softwarelösung zur Erstellung von geeigneten Audiosamples.

Da der D7759GC schon selten ist, ist es heute vermutlich praktisch unmöglich an dieses Entwicklungswerkzeug zu kommen.
Was ich zuerst vorhatte, nämlich das Erstellen von eigenen Audiosamples für den Chip, ist so vermutlich unmöglich.

Somit bleibt die Platine ein Stück Telekom bzw. Fernmeldeamt Geschichte.

Mein neues Ziel war es nun, diese Baugruppe noch einmal zum Leben zu erwecken.
Was auch immer das originale Programm gemacht hat, ich kann es nicht nachvollziehen.
Die 64Kb des Programm EPROMs fast vollständig mit Maschinencode belegt!
Vermutlich gehört zu den Baugruppen irgendein Programmierterminal oder dergleichen, was ich natürlich nicht habe.

Da ich keine Unterlagen dazu habe, habe ich mit den Umstand zu Nutze gemacht, dass es einen zum 80C51 Prozessor pinkompatiblen AVR Mikrocontroller (ATMEGA 8515) gibt.
Dieser lässt sich sehr viel komfortabler programmieren.
Den 80C51 Prozessor, das Programm EPROM, sowie den Flash Speicher habe ich entfernt, da das bereits im ATMEGA 8515 enthalten ist.
Der RAM Baustein und die Echtzeituhr sind deaktiviert und stören somit nicht am Datenbus.

Nun galt es die 74HC574 & 74HC573 Latches entsprechend anzusteuern.
Um es mir einfacher zu machen, habe ich die Adressdecoder abgetrennt und die Latches direkt mit den Ports des Controllers verbunden.
Hierzu boten sich die nicht mehr genutzten Adressleitungen des Datenbusses an.

Nach gut einer Stunde herum Messen und einigen Testprogrammen wusste ich, welche Funktionen durch die Latches angesteuert werden.
Über die serielle Schnittstelle des Mikrocontrollers kann mit einem Terminalprogramm die gewünschte Ansage konfiguriert werden.

Tatsächlich ist das Gerät jetzt soweit, dass beim Anruf eine vorher ausgewählte Ansage abgespielt wird!

Hier einige Ansagen:

Die Telefonnummer hat sich geändert. Bitte wählen Sie die Vorwahlnummer 089 und dann 32168.

Deutsch:

Englisch:

Französisch:

Dieser Anschluss ist aufgehoben. Unter einer neuen Telefonnummer ist der Teilnehmer noch nicht erreichbar.

Deutsch:

Englisch:

Französisch:

 

 

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